Rücksichtslose Flucht

29. August 1943

Jeder suchte so schnell wie möglich fort zu komme[n]. Wir 14 Mann saßen im guten Anzug auf unseren Wagen und sahen uns das Treiben an. Wir vertrauten auf die Routine und Gerissenheit unseres Fahrers, den Obgefr. Schmitz. Plötzlich schlugen dicht neben unserem Wagen zwei Geschoße ein. Es schien uns ein russischer Panzer entdeckt zu haben und beschoß uns nun. Da trat aber Schmitz auf die Tube und entzog uns der Sicht indem er einen Hügel dazwischen legte.

Mitten in dieser wilden Flucht wieß ein kleiner Leutnant seine 10 Infanteristen an, einen Graben auszuheben. Willig und gleichgültig fingen sie an zu graben. Wollte denn dieser Leutnant mit seinen 10 Mann den kommenden Russen Einhalt gebieten?

Langsam waren wir nun auch an Jelnja herangekommen. Hier strömte nun alles zusammen, was zurückflutete. Jeder suchte mit seinem Fahrzeug über die Brücke zu kommen, die über die Bahn ging. Natürlich hatte auch unserer Fahrer Schmitz das Bestreben, darüber hinweg zu kommen. Er war jedenfalls sehr auf Draht.

Endlich schien auch eine deutsche Truppe ernstlich Widerstand leisten zu wollen. Es war [die] Waffen-SS. Diese Kerle sprangen gleich ohne Rock und Stahlhelm in ihre Sturmgeschütze und fuhren los.

Inzwischen war es an der bezeichneten Brücke katastrophal geworden. Als nun noch links und rechts der Brücke auf 2 Erhebungen Einschläge hochgingen und die Leute der dort aufgebauten 2 cm Flak den Hang herunterkollerten, da war es vollständig aus. Es wurde gerammelt, geschoben usw. Von unserem hohen Fahrzeug aus ließ sich das ganz gut ansehen, das wogende und quirlende Fahrzeuggewimmel rundherum. Aber wir kamen über die Brücke, nichtsachtend ob wir dabei ein kleineres Fahrzeug in den Graben drückten.

Kurz hinter der Brücke kam noch ein wunder Punkt als ebenfalls flüchtende 8,8 Flak mitten auf der Straße zum Panzerbeschuß in Stellung ging. Dadurch war die Straße vollends verstopft. Aber auch hier stand uns der Glücksengel zur Seite. Etwas seitwärts war nur ein etwas größerer Zwischenraum zwischen den Fahrzeugen und schon kurvte Schmitz uns da hinein. Rücksicht durfte man keine nehmen, sonst wäre man für ewig sitzen geblieben. Ebenso war es fast hoffnungslos, wenn ein Fahrzeug in diesem Gewühle einen Defekt bekommt. Dann konnte man diese Karre gleich vom nächsten Fahrzeug in den Graben schieben lassen.

Hinter uns, an der Brücke krachte es mehrere Male bedenklich. Pechschwarze Qualmwolken und Trümmer flogen durch die Luft. Doch was jetzt dort vorging kümmerte uns nicht mehr. Nun wurde die Straße etwas freier und mit erhöhter Geschwindigkeit ging es durch Jelnja hindurch. Hier rannten dieselben Schwestern, die uns noch 2 Stunden früher fröhlich zugewinkt hatten, in ihrer Schwesterntracht kopflos hin und her und suchten auf den vorbeirauschenden Fahrzeugen mit fort zu kommen. So schnell hatte der Russe sich Jelnja genähert, daß nicht einmal diese Mädchen rechtzeitig abtransportiert wurden. Unser kluger Schmitz fuhr uns nun eiligst durch die Stadt hindurch und gleich auf der nordwestlichen Seite wieder hinaus. Erst als die Stadt weit im Rücken lag, ließ Bodenschatz halten.

Während wir abstiegen und uns ein paar Rüben aus einem verlassenen Garten holten, standen die beiden Unteroffiziere zusammen und berieten, was sie jetzt machen sollten. Bodenschatz hatte eine große Verantwortung auf sich genommen. Unter Umständen konnte ja unser schneller „Rückzug“ als Fahnenflucht ausgelegt werden. Und er, Bodenschatz, hatte ja den Befehl dazu erteilt. Natürlich hatte er jetzt die Absicht, so schnell wie möglich zu unserer Protze zu kommen. Nach kurzer Rast fuhren wir in westlicher Richtung weiter. Immer auf staubigen Feldwegen. Jetzt waren wir so das einzige Fahrzeug auf diesen Wegen geworden. Hinter uns schlugen grelle Stichflammen aus Jelnja in den klaren Mittagshimmel, große Rauchpilze zeigten an, wo Brennstofflager in die Luft gejagt wurden.

Ungeordneter Rückzug

29. August 1943

Wie es nun kam, daß unser B I-Wagen noch alleine dastand, weiß ich nicht mehr. Es kann sein, daß wir den Anschluß verpaßt hatten oder daß wir stehen bleiben und warten sollten, bis die Geschütze zurückkommen. Wir legten uns ins Gras und warteten. Da kam eine Flak-Batterie von uns zurück. Später erst haben wir es erfahren, daß das die Batterie gewesen ist, die wir ablösen sollten. Aber weil die Lage zu brenzlig wurde, hat diese Batterie ihre Stellung vorzeitig verlassen. Mit den Fahrzeugen dieser Batterie kam auch der PKW mit unserem Kommandeur angefahren. Uffz. Bodenschatz erkundigte sich bei ihm und der Kdr. sagte, er könne uns hier nicht mehr gebrauchen, wir sollten umkehren. Diese Antwort löste uns einen schweren Stein vom Herzen. Jetzt wurden alle wieder lustiger und redseliger. Es war direkt neues Leben in unsere Bedienung gekommen.

Schnell wurde der Wagen gewendet und dann konnte er uns nicht schnell genug fahren. Nach kurzer Fahrt wurden wir wieder von unserem Kommandeur angehalten. Wir sollten stehenbleiben. Die Batterien würden hier zum Luftbeschuß in Stellung gehen. Unsere Geschütze sollten bald ebenfalls zurückkommen. Da saßen wir nun und wieder war die Ruhe in uns eingekehrt. Plötzlich geschah das, mit dem wohl keiner gerechnet hatte: Erst kamen einzelne Fahrzeuge an uns vorbeigebraust, dann entstand eine unendliche Kette daraus. Über die Felder und Wiesen hinweg fuhren sie, weil die Wege sich langsam verstopften. Wir guckten uns um, alles raste und rannte zurück. Weil auch Bodenschatz und Schweig ratlos dastanden, gab Bodenschatz den Befehl zur Weiterfahrt. Nun ging es mit dem gleichen Tempo zurück.

Die Wegeverhältnisse kannten wir nicht, deshalb wollten wir den Weg zurück fahren, den wir her gekommen sind. Ein junger Leutnant von der Infanterie war es, der uns sagte, daß dieser Weg schon vom Russen überschritten wäre. Durch diesen klugen Menschen wurden wir sozusagen davor bewahrt, direkt in die Russen hineinzufahren. Nun wurde eben ein anderer Weg gefahren. Um uns wurde es immer toller. Fahrzeuge fuhren wild darauf los, nur zurück. Kräder kannten keine Hindernisse und zwängten sich überall hindurch. Herrenlose Pferde trabten durch die Gegend. Soldaten kamen angerannt. Ein Reiter galoppierte mitten durch die Felder. In Hemdsärmeln saß er, vielmehr hing er, hoch zu Roß. Jetzt war es uns klar. Das war eine Flucht. Das war direkte Panik. Je weiter wir zurückkamen, desto toller wurde es. In den Protzenstellungen wurde schnell das Gerät und Gerümpel auf die Wagen geschmissen und fort ging es. Dazu knallte es einige Male. Das machte alles nur verrückter.

Gefährlich nahe Front

29. August 1943

Einige Kilometer vor Jelnja mußten wir halten und warteten auf unseren Chef, der von einer Einsatzbesprechung zurückkam. Er gab den Dienstgraden die Lage bekannt und gab Befehle. Die Situation war etwa Folgende: Wir sollten wieder in die Gegend, wo wir schon einmal waren, jedoch sollten wir rechts der Bahn bleiben und sollten 2 km hinter der Front zum Luftbeschuß in Stellung ge[hen]. Die Stellung, die wir vor einigen Tagen hier verlassen hatten, war schon vom Russen besetzt. Wie gut, daß wir diese Stellung verlassen hatten.

Nun war es uns klar, was uns bevorstand. Die Protzenfahrzeuge wurden zurückgeschickt. Wir machten uns fertig. Koppel mit Patronentaschen umgeschnallt, Tragegerüst dazu und der Stahlhelm bereit gelegt. Uns allen war […] klar, was es für ein Risiko ist, eine schwere Flakbatterie so dicht hinter die Front zu legen. Dorthin konnte ja jeder Gewehrschuß gelangen. Auch ist das umfangreiche und wertvolle Gerät nicht dazu da, in einer so gefährlichen Stellung aufzubauen. Viele von uns waren schon in solchen Stellungen gelegen. Für mich war es etwas Neues. Ich war selbst gespannt, wie ich diese Angelegenheit aufnahm. Ob mich Angst oder Furcht packt, oder ob mich das Neue, Ungeschehene und Unerlebte mit nach vorn trieb. Eine innere Unruhe befiel mich schon, war es doch für mich sozusagen eine Fahrt ins Ungewiße. Aber die Nähe und Anwesenheit meiner Kameraden ließ mich zusammenreißen. Deren Ruhe und Gleichgültigkeit stimmten mich anders. Wo der B I-Wagen hinfährt, da fahren wir eben alle mit hin.

Und so fuhren wir los. Die Geschütze, wir, ein Muni-Wagen und ein Tankwagen. Zuerst ging es durch Jelnja. Dort bot sich uns noch ein richtiges, hinterlandmäßiges Bild. Ich möchte nur ein Beispiel nennen, weil ich später noch einmal darauf zu komme. In Jelnja gab es ein Soldatenheim. Dort war noch der schönste Verkehr und die Rote-Kreuz-Schwestern schauten noch fröhlich winkend aus dem Fenster. In südöstlicher Richtung verließen wir die Stadt.

Weil die Straße zu schlecht und ausgefahren war, fuhren wir neben der Straße auf Felder und Wiesen, wo bald ein glatter Fahrweg ausgefahren war. Es traten öfters Stockungen auf, weil uns sehr viele Fahrzeuge, ja ganze Kolonnen entgegenkamen. Das kam uns langsam spanisch vor. Artillerie und andere Fahrzeuge fuhren zurück und nur wir als Flak fuhren vor. Verschiedenes hörten wir auch schon munkeln von: die Russen greifen an, von Durchbruch, unsere ziehen sich zurück usw. Jetzt wurde uns klar, daß unsere Luftschutzstellung 2 km hinter der Front etwas aussichtsloses wird. Obwohl unsere Führung genau orientiert war, beharrte sie jedoch bei dem Unternehmen.

Die Truppen, die uns begegneten sahen uns alle freudigen Gesichts an. Ich weiß aber nun nicht, ob sie sich gefreut haben weil wir auch mal nach vorn in die Scheiße mußten, oder freuten sie sich daß nun endlich die gefürchteten 8,8 Kanonen nach vorn fuhren, oder haben sie uns ausgelacht, weil wir dem Russen direkt in die Hände fuhren.

Wir verließen die Straße und fuhren nach rechts hinein ins Gelände. Ging es mal über eine freie Fläche, so hieß es schon „klein machen“, Feindeinsicht, und es ging in rasender Fahrt über diese Stellen. Nur die verdammten Staubwolken, die die Fahrzeuge hinter sich herzogen, verwünschten wir, weil sie weithin zu sehen waren. Ab und zu sahen wir auch mal einen Granateinschlag. Auch auf diesem kleinen Fahrweg kamen uns immer noch Kolonnen entgegen. Unsere Batterie hielt wieder.

Tierische Angelegenheiten

28. August 1943

In Jarzewo waren wir aber nicht lange. Sonntag, der 28. August war wieder Flakreisetag. Wir packten wieder und nahmen Aufstellung. Große Aufregung entstand, als der kleine Hund, der sich immer beim Chef und seinem Fahrer herumtrieb, nicht zu finden war. Dadurch wurde sogar die Abfahrt hinaus gezögert. Als sich dieser Köter endlich gefunden hatte, fuhren wir los und in schneller, ununterbrochener Fahrt ging es nach Smolensk, durch das wir in der Dunkelheit hindurchfuhren. Wieder ging es auf die Roslawler Straße, dann nach Potschinok, wo gehalten wurde. Im Morgengrauen ging es wieder auf der Straße nach Jelnja vorwärts, die wir erst vor einigen Tagen in entgegengesetzter Richtung passiert hatten. In dem schönen Wetter war die Fahrt herrlich. Während einer kurzen Rast war ich Zeuge, wie im Rahmen einer Wette ein Kraftfahrer einer lebendigen Maus den Kopf abbiß. Er spuckte dann den Kopf aus und sagte, es hätte süßlich geschmeckt.

Heute hier, morgen dort

26. August 1943

Mitten während des Packens unseres Geräts kam ein Boxer mit der so lang ausgebliebenen Post. Das war aber ein Berg von Paketen, Briefen und Zeitungen. Als wir dann alles aufgeladen hatten und selbst aufgestiegen waren, fanden wir erst Zeit die Pakete zu öffnen. Und dann wurde von allem gekostet und jeder bekam etwas ab.

Wir machten dann schleunigst, daß wir aus dieser Stellung wegkamen, denn wir sahen, wie eine andere Flakbatterie im Feuer feindlicher Artillerie lag. Unser Weg führte wieder über die zerwühlte und aufgerissene Straße hinein nach Jelnja, wo wir bei Beginn der Nacht eintrafen. Wir fuhren weiter. Bald befahl aber unser Chef für diese Nacht endgültigen Halt, weil russische Bomber diese Gegend angriffen und ihre Bomben wahllos in die Gegend streuten. Es sprang alles in den Straßengraben und dort wurde der Befehl zum Weiterfahren abgewartet.

Als die Luft wieder rein war, ging es weiter. Die Straße war hoch mit Sand bedeckt. Die Fahrzeugräder mahlten im Sande und mancher Anhänger, z.B. das Kdo-Hi Gerät [„Kommandohilfsgerät“], schwebte in größter Gefahr, daß der teure Kasten umkippte. Aber es ging alles gut und am Morgen erreichten wir ohne Ausfall Potschinok. Dann ging es auf der schön asphaltierten Straße nach Smolensk. Kurz davor machten wir noch auf einem Staat[s]gut Rast. Durch Smolensk fuhr die Batterie geschlossen und es erregte nicht wenig aufsehen, als die schweren Zugmaschinen mit ihren klirrenden Kettengeräuschen und mit fröhlichen, singenden Soldaten darauf, durch die belebten Straßen braußten.

Ich will es gleich sagen, es ging wieder nach Jarzewo. Knapp neben unserer Stellung protzen wir ab und machten die Batterie feuerbereit. Wir wußten nur nicht, warum wir gerade nach Jarzewo kamen. Die Front war 15 km entfernt und war zur Zeit ruhig. Es wird so gewesen sein, wenn man mit einer Einheit nicht wußte wohin, steckte man sie nach Jarzewo. Zu schießen gab es dort nicht viel.

Eines Nachts, während der Wache, lernte ich die Gewitter in den unendlichen russischen Landen kennen. Zuckende Blitze und grelle Feuerscheine erhellten die pechschwarze Nacht zum Tage. Fürchterlich dröhnende Donnerschläge hallten durch die Nacht. Dazu ein gewaltiger Platschregen, der die lehmige Erde augenblicklich in einen zähen Schlamm verwandelte. Ich war froh, als ich ins Zelt zurückkehren konnte. Im Zelt war es trocken, die Zeltplanen hielten dicht.

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