Dienstag, 8. Juni 1943
Ich habe ganz vergessen zu erwähnen, daß am 5. Juni nachmittags aus tiefhängenden Wolken plötzlich eine NAB-25 hervorstieß, über dem Rollfeld eine Kurve drehte und schließlich wieder in den Wolken Schutz suchte. Kurz darauf kam die Maschine wieder, aber aus einer anderen Richtung, flog wieder auf das Rollfeld zu und ging ganz tief herunter. Die leichte Flak schoß wie besessen. Die NAB-25 erhielt Treffer, versuchte steil hochzuziehen, sauste nach unten und zerschellte am Boden. Das sollte wahrscheinlich eine gewaltsame Aufklärung werden. Dieser wagemütige russische Vorstoß war der Auftakt zu den folgenden schweren Tagen und Nächten.
Der erste Schlag waren die Angriffe am 6. abends und die beiden Bombentreffer in der Batterie. Der 7. brachte endlich den längst erwarteten Großangriff. Es war abends, als die Sonne schon tief im Westen stand. Ich war am Putzen vor unserer Unterkunft, da fiel mir auf, daß ein deutscher Jäger nach dem anderen startete, was doch sonst nie der Fall war. Es waren so ungefähr 15 Maschinen. Plötzlich heulten die Luftschutzsirenen auf dem Horst ihr warnendes Lied. Da bekamen wir auch schon die Meldung: „Mehrere Feindverbände im Anflug auf den Platz aus Richtung 1-3, Entfernung … km.“ Höchste Feuerbereitschaft. Alles wurde sofort abwehrbereit gemacht, Munition bereit gelegt usw. Wir machten uns auf ein heißes Gefecht gefaßt. Ich, in der Aufregung, ziehe den Rock an, Koppel mit Patronentaschen drum, Stahlhelm auf, Karabiner in die Hand und hinaus gestürmt in Erwartung des Gegners. (Später habe ich auch die Ruhe behalten und stand in Turnhosen oder Hemdsärmeln im Gefecht.)
Die Flugmeldeposten wurden verstärkt: Die gesamte Meßstaffel starrte in die Luft. Da meldete auch schon der erste einen Verband aus Richtung 1. Durchs Glas sahen wir, daß es Schlachtflieger waren. Plötzlich meldete ein anderer noch einen Verband aus 1, der flog höher und wurde als [Petljakow] PE 2 Verband ausgemacht. Beide Verbände flogen nördlich an uns vorbei. Wir beobachteten sie weiter, als schon durchs Telefon und vom Flugmeldeposten die Meldungen kamen, daß in Richtung 3-6 mehrere Verbände im Anflug sind. Nun hatten wir Gewißheit, daß der konzentrierte Großangriff nunmehr steigt. Noch einige Instruktionen der Offiziere wurden durchgegeben. Die zwei nördlich vorbeigeflogenen Verbände hatten gewendet und griffen aus dem Westen, aus der Sonne heraus, an. Ich brauchte an diesem Tage nicht in die Umwertung zu gehen. Ich sah daher zu, wie die näherkommenden Verbände schon von den anderen Batterien beschossen wurden. Auch wir eröffneten das Feuer auf einen uns anfliegenden PE-2 Verband. Wir wurden genau angeflogen und wieder kam der Augenblick, ob die ausgelösten Bomben hereinrauschen in die Batterie. Aber diesmal hatten wir Glück. Uns galten keine Bomben. Wir sahen, wie die Bomben aus den Maschinen herausfielen, sahen sie mit immer schneller werdenden Geschwindigkeiten herunterrasen bis unser Auge den Bomben nicht mehr folgen konnte. Drüben auf dem Fliegerhorst stiegen Qualm- und Staubwolken hoch.
Der Verband PE-2 war noch nicht aus unserem Schußbereich heraus, [da] kam ebenfalls aus der tieferstehenden Sonne heraus ein in geringerer Höhe fliegender Verband von etwa 15 [Junkers] JL2. Jetzt wurde die Angelegenheit schon gefährlicher. Ich sprang schnell in eine ausgehobene Grube in Deckung. Es bestand doch die Möglichkeit, daß die JL2 mit ihren Bordwaffen auf die Flak losgehen. Eine große Anzahl 2 cm und 3,7 cm Flak eröffnete ebenfalls das Feuer auf diesen Verband. Mitten in diesem Feuerzauber setzten die JL2 zum Angriff auf das Rollfeld an. Sie senkten die Schnauze und im schrägen Abwärtsflug blitzte das Mündungsfeuer ihrer Bordkanonen auf und schossen ihre Raketenbomben mit einem lauten Fauchen und Zischen ab um dann 2 Qualmwolken zurück[zu]lassen. In diesem Augenblick schoß ich ja auch ein paar mal in die Luft, fand es aber angenehmer zuzusehen, was sich da oben alles abspielte und ob es für uns noch gefährlich wird. Auch hier sah ich die Bomben über uns hinweg fliegen. Es kamen noch mehr Verbände angeflogen, aus allen Richtungen, aber sie kamen mehr oder weniger in unseren Schußbereich. Sie wurden von den 4 anderen schweren Batterien beschossen. Sichernde russische Jäger zeigten auch durch ihr eigentümliches Gebrumme ihre Gegenwart an. Sie kurvten hoch über uns.
Nachdem der letzte Verband (nach meiner Schätzung waren es insgesamt etwa 120 Maschinen) nach Osten abgeflogen war, konnten wir den Stahlhelm abnehmen, den Schweiß von der Stirne wischen und eine Beruhigungszigarette rauchen. Die deutschen Jäger kamen nach und nach zurück. Das Abschußergebnis wurde durchgegeben. Die Zahl weiß ich aber nicht mehr.
Am Nachmittage dieses Tages nahm ich Abschied von R. Dölle, der in der Wehrbetreuungsbaracke aufgebahrt lag. Der gewaltige Feuerzauber, den die Flak vor Sechtschinskaja den angreifenden Feindmaschinen entgegen brachte, war wie ein letzter Gruß seiner Flakkameraden, die nun auch weiterhin ihren Posten ausfüllten. Am nächsten Tage vormittags war die Beerdigung. Abordnungen der Batterien standen im Viereck um das offene Grab. Der katholische Pfarrer, sowie Oblt. Siebeck gedachten des Gefallenen in kurzen Ansprachen. Ufw. Theißen sagte in seinem Nachruf: „Früher haben wie dich verkannt, erst nach und nach lernten wir Deinen wahren Wert zu schätzen!“ Nachdem 3 Salven verschossen waren, marschierten wir ab. Auf dem Marsche sahen wir eine große Anzahl Bombentrichter die, vom Vortage herrührend, irgendwo im freien Gelände, anstatt auf dem Rollfeld lagen. Ich habe dann später jedesmal, wenn mich der Gang ins Kino über den Heldenfriedhof führte, einen Strauß bunter Wiesenblumen auf das frische Grab gelegt.