Archiv für September, 1943

Kostbares Nass

Freitag, 17. September 1943

Eine alltägliche Arbeit blieb nicht aus: Das Kartoffelschälen. Vor 2 Tagen hatten wir auch so viel Kartoffeln geschält und Fellner hatte eine schmackhafte Erbsensuppe gekocht, und das Essen wurde zum Russen geschafft. Unser Fourier fuhr mit einem Wagen der 5. Batterie beim Versorgen der Batterie mit Verpflegung in die feindlichen Linien. Einige 2 cm Kanonen unserer 2. Batterie versuchten mit etlichen Schüssen vor den Wagen diesen zum Halten [zu] veranlassen wollten. Dieses Kanoniere sahen nur noch wie die Russen den Wagen umringten und wie die zwei Insassen mit erhobenen Händen ausstiegen.

Nach dem Kartoffelschälen mußte unser Meßtruppwagen mit dem Trinkwassertankwagen los fahren und Wasser herbeischaffen. Ich fuhr auch mit. Zuerst fuhren wir weiter zurück. Weit und breit kein Bach, kein Teich, nur weite, öde Steppenflächen zogen sich hin. Nach mehreren Kilometern Fahrt suchten wir Wasser in einem Dorfe, seitwärts der Straße. Erst kam ein stehendes Gewässer. Das Wasser sah schwarz aus und stank fürchterlich. Schon der Anblick des Gewässers ekelte uns an. So fuhren wir in das Dorf. Hier fehlten die üblichen Brunnen ganz. Wir frugen die Bevölkerung wo es Wasser gibt. Sie zeigten uns einen kleinen Teich in dem allerhand Wassergetier herumzappelte. Auch von diesem stinkenden Wasser wanden wir uns sehr schnell ab. Das Wasser konnten vielleicht die Russen trinken. Anderes waren die ja auch nicht gewöhnt. Also fuhren wir wieder zurück. Wir fuhren noch über unsere Protze hinaus weiter nach vorn. Wir kamen wieder an den großen Teich, wo die große Holzbrücke mittendurch führte. Plötzlich heulte es heran und 2 Granaten sausten in das Wasser, das hoch aufspritzte. Wir lenkten sofort um, fuhren an den Rand des Wassers und schöpften mit einigen Eimern dieses Wasser in unseren Tankwagen. Obwohl es auch nicht ganz sauber war, so nahmen wir es doch, um überhaupt welches mitzubringen.

Unser Spieß hat sich sehr gewundert, wo wir so lange blieben. Aber wir erzählten ihm alles haargenau. Spät Nachmittags hieß es wieder mal schnell alles aufladen und fertigmachen. Schon wieder Stellungswechsel! Diesmal schien es aber eilig zu sein. Es ging auf dieser Straße zurück, die bei uns vorüberführte. Die Straße führte immer bergab, über einen ausgetrockneten Bach hinweg und drüben wieder erschreckend steil hoch. Wieder fuhr Fahrzeug hinter Fahrzeug. Bei einem kurzen Halten nahmen wir 3 verwundete Infanteristen mit, die an der Straße standen und warteten, bis ein Wagen sie mit zurücknimmt. Diese 3 Soldaten erzählten uns, wie es vorn eigentlich zu ging. Sie sprachen schon von Auflösungserscheinungen und meinten außerdem, daß mit den Offizieren wahrscheinlich etwas nicht stimmt. Da mußten die russischen Zivilisten immer Panzergräben und sogenannte Hauptkampflinien ausheben. Dann hieß es fast jeden Tag, im Laufe der Nacht wird die Front auf den und den Graben zurückgenommen, und am anderen Morgen merkten wir, daß es alles nur ein Bluff war und die betreffende Linie schon längst vom Feinde überschritten war.

Als die Dunkelheit sich über das eintönige Land zog, wies uns unser Spieß eine neue Protzenstellung an. Die etwas aufsteigende Wiese war schon feucht beschlagen und es dauerte eine geraume Zeit, bis wir in dieser Finsternis unsere Zeltplanen hervorgesucht hatten. Rings um uns, von Nordosten, über Ost und Süd bis weit nach Westsüdwest herum zog sich am Horizont ein Kranz brennender Dörfer. Blutrot war das Firmament überzogen. Unsere zurückgehenden Truppen wendeten hier wahrscheinlich die Taktik an, die uns der Russe erst im Jahre 41 gelernt hat, nämlich alles niederzubrennen, damit der nachrückende Feind keine Unterkünfte und Vorräte, sondern nur noch Schutt vorfindet, mit dem er nichts anfangen kann. Beim Betrachten dieses eigentümlichen Bildes, erreichte uns schon wieder der Ruf: „Sofort wieder alles einzupacken. Es geht sofort weiter!“

Vor und zurück

Freitag, 17. September 1943

Als die Sonne höher stieg breiteten wie unsere Übermantel aus und ließen den Schlamm daran trocknen. Gegen Mittag kamen die ersten Boten von unserer Gefechtsbatterie. Unter anderem wurde Wm. Vollkammer mit gebracht. Ein Granatsplitter hatte ihm eine Zehe abgerissen. Er sollte ins Lazarett, blieb aber tapfer bei der Truppe. Dafür hat er später das [Eiserne Kreuz] EK II bekomm. Vollkammer sagte, daß die Batterien schwer mitgenommen wurden. Uffz. Füchter, Geißbuch und noch zwei Mann gefallen. Hahn, Beckurts, Wiedemann und noch einige andere schwer verletzt. Uffz. Geißbuch hat zuletzt noch als einzelner auf feindliche Panzer geschoßen, bis sein Geschütz einen Volltreffer bekam. Es wäre grauenvoll gewesen.

Als in die Nähe von uns ab und zu einige Schüsse einschlugen, sagte Vollkammer zum Spieß, er solle doch schnell weiter rückwärts ziehen. Sonst bekämen wir die Russen auch noch auf den Hals. Uffz. Busse war auch mit nach hinten gekommen. Er kam zu uns und berichtete uns, daß Reineking sich schon entschlossen hatte, uns, die B I, als Infanteriesicherung für die Geschütze zu legen, wie er es bei anderen Batterien gesehen hatte. Busse konnte es ihm jedoch mit Mühe ausreden, da wir doch alle Spezialisten wären und bei Ausfällen keine weiteren ausgebildeten Leute da wären.

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel war unser Chef plötzlich selbst angefahren gekommen. Das erste was er uns zurief war: „B I fertigmachen zum Einsatz.“ Wir waren wie vor den Kopf geschlagen. Nun geht es also doch noch nach vorn. Aber, da wir das Gerät mitnehmen sollten, wurde es wahrscheinlich kein Infanterieeinsatz. So machten wir alles fertig. Plötzlich lenkte eine Gestalt die Aufmerksamkeit auf sich, die laut rufend und winkend näherkam. Es war unser Wm. Theißen, der vom Urlaub kam, und uns hier aufgespürt hatte. Die Freude darüber, daß wir alles gesund überstanden hatten war natürlich groß und wurde gleich entsprechend begossen. Theißen sollte vom Chef aus gleich mit nach vorn fahren, aber mit einigen Ausreden konnte er das abwenden.

Unser Wagen wurde noch mit Brot und Verpflegung für zwei Batterien beladen und dann mit allen guten Wünschen traten wir die Fahrt an. Erst wieder die ausgefahrene Straße entlang und dann wieder rein ins Gelände. Infanterie und Artillerie kam uns entgegen. Nur wir mit unserem komplizierten Gerät fuhren nach vorn.

Junkers Ju 87

(CC) Bundesarchiv: Junkers Ju 87

Nach allen Seiten hielten wir Ausschau, ob wir nicht bald unsere Geschütze entdeckten. Aber immer weiter ging es. Um uns war schon die unheimliche Stille und die Leere des Schlachtfeldes zu spüren. Feindliche Schlachtflieger griffen an. Deutsche [Sturzkampfflugzeuge] Stukas stürzten sich in kühnem Sturze auf den Feind. Abschüsse waren am Horizont zu sehen. Dazwischen knallten die bellenden Abschüsse der Panzergeschütze. Wir vernahmen das eigentliche Geräusch durch die Luft rauschender Granaten. Eine Stichflamme stieg am Horizont hoch und zeigte, wo ein feindlicher Panzer in die Luft flog. So fuhren wir mutterseelenallein über die öde Fläche.

So kamen wir auch an die Stelle, wo die Geschütze der 1. und 3. Batterie standen. Es war in einer Mulde. Daneben lag das Grab eines unserer Batterieangehörigen. Wir setzten den Stahlhelm auf und gingen mutig ans Werk, unser Gerät feuerbereit zu machen. Zwei Geschütze von uns und zwei noch von der 1. Batterie sollten wir anschließen. Neben uns standen auch sämtliche Offiziere der Batterie, unter ihnen unser Chef. Es war wie ein Feldherrnhügel. Wir sollten in Stellung gehen und dann im Laufe der Nacht nebenan auf einen Hügel Stellungswechsel machen. Ich ahnte schon wieder eine schlaflose Nacht. Aber es kam wieder mal anders. Die Offiziere der Abteilung legten unserem Chef klar, daß es doch Wahnsinn wäre, den Meßtrupp in solcher Feindnähe aufzustellen. Reineking konnte schließlich nicht anders und gab uns Befehl, zum Zurückfahren.

Das war wieder mal ein Befehl, wie wir i[h]n gerne hörten. In größter Eile luden wir wieder auf, was wir eben erst abgeladen hatten. Mittlerweile war es dunkel geworden. ein brennendes Dorf erhellte den Himmel weithin blutrot. An zurückgehenden Artillerieeinheiten und an Infanterie vorbei fuhren wir zurück. Auf dieser sah ich wieder einmal, wie schön wir es mit unserem Meßtruppwagen hatten. Neben der Straße plagten sich die Artilleristen mit ihren Kanonen und Gespannen ab. Sie hatten 8 und 10 fach vorgespannt und sie mußten selbst noch angestrengt mitschieben, um die Geschütze in Stellung zu bringen.  Nach holpriger Fahrt auf der schlechten Straße kamen wir wieder dorthin, wo wir unsere Protze verlassen hatten. Aber, o weh, der Platz war leer und die Fahrzeuge fort. Nun blieb uns nichts weiter übrig, als weiter zurückzufahren und zu suchen. Hoffentlich hatte unser Spieß ein Schild mit dem Wolfskopf anbringen lassen, zur Orientierung für nachkommende Fahrzeuge. In dunkler Nacht fuhren wir nun weiter. Jedes Einheits-Schild wurde mit der Taschenlampe abgeleuchtet, ob es nicht unseres sei. Zahlreiche Christbäume und Leuchtfallschirme standen am Himmel. Ab und zu dröhnten Bombenwürfe an unser Ohr. Wir waren wieder mal froh, daß wir aus der Frontlinie fort konnten und die Stimmung war jetzt auch danach. Plötzlich endete die Straße an einem Teiche. Mitten hindurch hatte man eine starke Holzbrücke gebaut. Gleich hinter dieser Brücke fanden wir unser taktisches Zeichen. Eine geradeausführende Pappelallee führte seitwärts von der Rollbahn ab und am Ende dieser Allee, auf einer kleinen Wiese, fanden wir unseren Troß. Unsere Zelte waren schnell aufgestellt und wir gaben uns der wohlverdienten Nachtruhe hin. Nur vereinzelte Bombenabwürfe von einigen feindlichen Maschinen in unsere nächste Umgebung ließen uns mal aufwachen, störten uns aber weiter nicht.

Die Sonne stand am nächsten Morgen schon hoch am Himmel als wir uns bequemten, endlich aus dem Zelt zu kriechen. Wm. Theißen war schon lange Zeit vorher zu uns gekommen. Er war ja auch so froh, daß wir wieder da waren und viel zu erzählen hatte er ja auch. Aber, da standen ja 8,8 Kanonen. Wo kamen denn die her? Unsere Geschütze waren doch gestern Abend noch vorn. Nun kam heraus: Reineking hatte sich mit seinen Geschützen, wenige Zeit später als wir zurückfuhren, ebenfalls abgesetzt und war auch zu uns in die Protze gefolgt. Es waren nur noch zwei intakte Geschütze. Eins bekam doch einen Volltreffer und ein anderes mußte gesprengt werden, weil es im Schlamme festsaß und trotz Vorspannens von zwei Panzerwagen nicht herauszubekommen war. Wir mußten mit helfen die Geschütze und Fahrgestelle zu reinigen. Dann wollte Reineking von Theißen zwei kräftige Leute haben, zum Munitionfahren. Theißen bestimmte meinen Freund Gerhard Kleber und Heinz Fink. Nachmittags fuhr dann die Batterie wieder nach vorn. Ein 3. Geschütz aus der Waffenwerkstatt war noch hinzugekommen. Das war am 16. oder 17. September. Am nächsten Vormittag befahl unser Spieß Hampe auch wieder Stellungswechsel. Wir fuhren nicht weit. Nur bis dahin, wo die Protzen der anderen Batterien lagen. Auch dort machten wir es uns wieder bequem.

Schlammige Umverteilung

Donnerstag, 16. September 1943

Nachdem alle Fahrzeuge fertig waren, fuhren wir los. Es ging gleich einen schmalen Feldweg nach Westen entlang. Der Schlamm machte uns da schon etwas zu schaffen. Nach einer Weile mußten wir über einen Bach und da war keine Brücke. Nur einige Balken lagen im Wasser. Aber mit etwas Geschicklichkeit und etwas Glück kam man schon darüber hinweg. Es rutschte schon mal ein Fahrzeug bedenklich ab, so wurde es von einem größeren Fahrzeug wieder auf die rechte Bahn gezogen. Die Hälfte unserer Kolonne war schon glücklich darüber hinweg, als ein Offizier vom Heere kam und uns dahin unterrichtete, daß er Befehl hätte, den Verkehr über diese Brücke zu sperren und die Brücke ordentlich ausbauen zu lassen und er müßte uns zu diesem Zwecke mit heranziehen. Da haben wir natürlich gemuckt. Um die Brücke etwas stabiler zu machen, haben wir mitgeholfen ein Haus abzubrechen und die Balken zum Bauen verwandt. Nach einer Weile haben wir gesagt, es gänge nun nicht anders und so haben wir uns über diesen komischen Leutnant hinweg gesetzt.

Die Fahrzeuge mußten aber einzeln über dieses Balkengewirr hinübergezogen werden. Auf der anderen Seite war anschließend eine steile Böschung, und die war nur mit Schlamm bedeckt. Dort blieben die Fahrzeuge eben stecken oder rutschten zurück. Unser Fahrer aber, unser verwegener Schmitz, gab Vollgas, rammelte über diese provisorische Brücke daß die Balken ächzten und einige sogar brachen und unter unserem freudigen Jubel schaffte er es auch noch diese rutschige Böschung hinauf. Glücklich hatten wir sämtliche Fahrzeuge von uns herüber gebracht. Aber nun kam erst der wunde Punkt: wir mußten über einen Berg hinweg, wo Schlamm, Dreck, Schmand und ausgefahrene Fahrspuren das Fahren fast unmöglich machten. Versuchte man hinauf zu fahren, so rutschte man das Doppelte zurück. Alles Mögliche wurde versucht, die Autos flott zu machen. Aber der Schlamm war zäher. Unser Küchenwagen machte überhaupt nicht mit, schließlich war der Motor defekt und da war es ganz aus. Nach und nach kam es soweit, daß 3 und mehr Fahrzeuge zusammengeseilt wurden. Das schaffte Luft. So nach und nach rutschte ein Fahrzeug nach dem anderen über die Kuppe.

Diese Klippe wurde überwunden und es ging weiter dem Ort Jasnieno zu, wo uns unser Chef hinbeordert hatte. Eine große Pfütze wurde uns hier beinahe zum Verhängnis. Schmitz wollte nicht durch das Wasser hindurch fahren und fuhr außerhalb und… blieb stecken. Wir schoben aus Leibeskräften. Wir legten Reissig unter die Räder. Es half nichts. Im Gegenteil, die Räder mahlten sich immer tiefer und schließlicht saßen die Federn des LKw’s auf dem Schlamme auf. Hilflos saßen wir nun in dunkler Nacht hier fest. Nicht allzuweit entfernt zeigten hochgehende Leuchtkugeln die zurückgehende Front an. Wir machten uns schon mit dem schlimmsten gefaßt. Da kam plötzlich ein großer, schwarzer Schatten aus dem Dunkel der Nacht auf. Es war ein LKw. Mit lautem Rufen brachten wir ihn zum Halten. Es war ein Fahrzeug unserer Batterie. Der mußte uns herausziehen. Sofort wurde ein Seil gespannt und der LKw zog an. Alles sah voll Spannung zu. Aber oweh, es war nichts zu wollen. Dieser LKw rutschte nun ebenfalls und kam nicht vom Fleck. Wieder wurden allerlei Experimente gemacht. Es war aber einfach nichts zu machen. Endlich nahte der Retter in Gestalt einer Zugmaschine von uns. Ich glaube, sie hatte ein Geschütz mit und fuhr zur Waffenwerkstatt. Für diese Zugmaschine war es natürlich ein Leichtes, uns aus dem Dreck zuziehen. Erleichterten Herzens bestiegen wir wieder unseren Wagen und Schmitz konnte wieder fahren.

Auf der Straße nach Jasnieno war wieder der schönste Rückzugsbetrieb. Einige Hundert Meter konnten wir wohl fahren. Dann stockte es zum Ersten Male. Einige Fahrzeuge von uns hatten Schwierigkeiten aus dem Schlamm herauszukommen. Als es weiterging, saßen wir fest. Also runter vom Wagen und in den Schlamm herein gesprungen und geschoben. Dieser zähe Dreck zog uns fast die Stiefel aus und den unteren Teil unserer Übermantel zogen wir egal durch den Schlamm. Aber wir kriegten den Karren wieder flott.

Nach kurzer Fahrt wieder ein Halt. Ein Pferdegeschirr vor uns steckte hilflos fest. Der Kutscher gab sich zwar alle Mühe, aber sie schafften es nicht. So gab Bodenschatz den Befehl, schieben zu helfen und während wir so schoben, kamen einige auf den Gedanken, doch mal sehen, was in den vielen Kisten drin ist, die der Bagagewagen geladen hatte. Mit Gewalt wurden die Kisten aufgebrochen und siehe, was kam zum Vorschein: lauter Flaschen vom feinsten Rum. Leider hatten wir zu stark geschoben, sodaß der Wagen wieder selbst fahren konnte und wir mußten von unserem Opfer lassen. Als wir wieder aufgestiegen waren, ging gleich die Sauferei los und wir hofften, dass dieser Wagen noch einmal stecken bliebe. Das traf auch prombt ein. Sofort ging es wieder hin an den Wagen. Einige nahmen sich der Pferde an, und einige brüllten kräftig „Hau-ruck“ und taten so, als ob sie angestrengt schieben. Der Kutscher hatte an unserer Hilfe seine reinste Freude. Aber an der Rückwand des Wagens wurde schnell gearbeitet. Mit Hilfe von Spaten wurden Kisten aufgebrochen und die Flaschen mit Wein und Rum verschwanden unter unseren Mänteln. Ich selbst stieg an der Seite auf den Wagen, zog eine schwere Kiste herunter, und stampfte damit glücklich und siegesbewußt zu unserem Wagen. Im Scheine einer Taschenlampe stellte ich erst mal fest, was ich eigentlich ergattert hab. Es war eine Kiste mit 24 Büchsen zu 800 gr Jagdwurst. Schnell wurde die Kiste verstaut, aufgestiegen und weiter ging die Fahrt.

Nun ging oben auf dem Wagen eine Flasche nach der anderen reihum. Die Nähe der Front, der Rückzug und der Schlamm waren mit einem Male vergessen. Unser Fahrer Schmitz goß auch kräftig hinter die Binde und er mußte erst an seine Pflichten und Verantwortung erinnert werden. Aber er war schon leicht angeheitert und vollbrachte allerhand tolle Sachen. Erst zog er eine Zugmaschine hinter sich her und fuhr dann eine Böschung hinab, daß wir dachten, der Wagen kippte jeden Augenblick um. Aber es ging alles gut und bald erreichten wir einen kleinen Seitenweg, an dem unsere Protze lag.

Unser Kamerad Rückheim, der an der Straße zurückgelassen wurde, um nachfolgenden Wagen von uns den Weg zu weisen, ist im Straßengraben eingeschlafen und hat dort unbehelligt seinen Rausch ausgeschlafen. Mitten in der Nacht kamen wir an unsere Protzenstellung und nur mit Mühe bugsierte Schmitz den Wagen zwischen den Bäumen hindurch an einen geeigneten Standort. Dann war Gottseidank für diesen Tag Schluß. Wir blieben auf dem Wagen sitzen und versuchten zu schlafen. Zum Glück wurde es bald wieder helle. Da saß doch ein Mann mit auf unserem Wagen und wir zerbrochen uns den Kopf, wer das wohl sein könnte und was der bei uns suchte. Doch als diese Gestalt ihr verschlafenes Gesicht hob und die Haarsträhnen aus der Stirne schleuderte, erkannten wir unseren Fahrer Schmitz. Aber wie sah der aus. Er hatte sich von oben bis unten bekotzt. Uns blieb jedoch ein Rätsel, wie er auf unseren Wagen hinauf kam. Neben dem Wagen war ein Lagerfeuer entfacht worden und fröstelnd saßen wir müden Kreaturen herum und stierten in die Flamme. Unser Spieß hatte bald gemerkt, was mit uns los war. Sah er doch auch heute am frühen Morgen die Flasche unter uns kreisen. Verraten haben wir zwar nicht, wo wir das Zeug her haben. Aber wir haben ihn einmal mit trinken lassen. Damit gab er sich zufrieden. Von der Kiste Wurst hat jeder eine Büchse bekommen. Den Rest haben wir gleich zum Brot gegessen. Es kamen zwar manchmal Gedanken bei uns auf, daß nun wohl dieser Soldat bestraft werden würde, dem wir das Zeug genommen haben. Er kann doch gar nicht dafür. Und vielleicht hat nun eine Einheit einen Tag lang nichts zu essen. Aber wir pfiffen darauf. Die Spirituosen hätten doch nur die Offiziere gesoffen und der Landser hätte geschielt. Außerdem wurden wir auch schon bestohlen. Es war eben so: mausen und bescheißen ist die Grundlage für ein gutes Leben beim Kommiß.

Unheimliche Nähe

Mittwoch, 15. September 1943

Auch unsere Flieger waren an diesem Tage sehr aktiv und griffen mit starken Bomberverbänden in die Erdkämpfe ein. In dieser Stellung wurden von uns ebenfalls 4 oder 5 Maschinen abgeschossen. Bei dieser Gelegenheit konnten wir auch mal das Schießen der feindlichen Flak beobachten. Die schoß, im Gegenteil zu uns kein gezieltes Feuer auf die Flugzeuge, sondern es war mehr ein Sperrfeuer in der Luft. Überall standen die Sprengwolken in der Luft. Wir haben aber keinen Abschuß der russischen Flak feststellen können. Deutsche Jäger hatten an diesem Tage einige Abschüsse zu verzeichnen.

Abends waren wir froh, daß dieser harte und aufregende Tag nun glücklich und ohne Ausfälle zu Ende gegangen war. Wir wollten der Ruhe huldigen und da kamen die „leisen Willy’s“ und einzelne Bomber, die ins Hinterland flogen. Reineking mußte natürlich schießen und so standen wir eben einige Stunden in der ziemlich kühlen Nacht und haben die Maschinen so gut es ging im Dunkeln aufgefaßt und geschoßen.

Der weitere Verlauf der Nacht kam uns schon ziemlich unheimlich vor. Derjenige, der schlief, hat davon nichts gemerkt, aber wer Posten stand, konnte das immer näherkommende Maschinengewehrfeuer und die immer häufiger werdenden eigentümlichen Knalle von Panzerkanonen [hören]. Am nächsten Morgen, der 14., platschte strömender Regen auf unsere Zelte. Wir dachten in dem Regen wird Iwan nicht kommen. Aber weit gefehlt, schon vernahmen wir das Dröhnen anfliegender Tiefflieger und der Flugmeldeposten arlamierte schnell die Batterie. Man hielt es nicht für möglich, in diesem dunstigen Wetter anzufliegen. Aber diese Tiefflieger schoßen etwas in die Gegend und verschwanden gleich wieder. Kurz darauf hörten wir einen Verband [Petljakow] PE-2 kommen, konnten ihn aber nicht sehen, da die Wolken zu tief herniederhingen. Nur für einen Auganblick erschienen die Maschinen zwischen Wolkenfetzen. Sie warfen Bomben auf Lechowo und verschwanden wieder in den schützenden Wolken. Wir schossen einige Schüsse hinterher und dann war Ruhe.

Dies war unser letztes Gefecht hier, denn unser Chef brüllte gerade herauf zu uns: „Stellungswechsel vorbereiten!“ Der Regen hatte aufgehört und wir fingen an die Zelte abzureißen und alles Gerät zusammen zu legen. Da brachten Lt. Kruchen einen entgegengesetzten Befehl: „Stellung bleibt besetzt!“ Das war nun wieder mies. Immer das verdächtige Schießen in nicht allzuweiter Entfernung, das hat etwas schlimmes uns ahnen lassen.

Uffz. Busse, der über die ganze Situation ziemlich gut Bescheid wußte, schien die Angelegenheit auch recht verdächtig vorzukommen. So kam er hin zu mir auf den Flugmeldeposten und sagte, ich solle ihm über alles Verdächtige Bescheid sagen. Und so habe ich mit meinem Glase gespannt in die Gegend geguckt. Da sah ich in Schützenlinie vorgehende Infanterie und konnte auf der anderen Seite im Dunst gerade noch erkennen, wie auf einer Straße eine unendliche Kolonne allermöglicher Fahrzeuge zurückfuhr. Da stand es wieder mal fest: es ging wieder mal zurück. Wir kamen uns wieder vor wie doof. Alles fuhr zurück, nur wir standen da wie ein paar Irre. Aber in kluger Voraussicht packten wir unsere Sachen zusammen. Da klingelte bei uns das Telefon. Unser Chef ging selbst an den Hörer. Kurze Stille, dann rief er zur Geschützstaffel: „Geschützstaffel fertigmachen zum Erdeinsatz!“ Nun war wieder alles klar.

Nun lief alles flott von der Hand, denn, desto früher wir fertig waren, desto zeitiger konnten wir abfahren. Unser Lastwagen konnte gar nicht schnell genug da sein. Der Wagen der B II mußte auch mit von beladen werden. Unsere Geschütze fuhren schon aus der Stellung und bezogen Stellung zum Beschuß von Buda Staraja. Endlich hatten wir einen Wagen beladen und ich schwang mich drauf und fuhr mit. Unterwegs war schon alles wieder in bestem Rückzugsfieber. Zuerst fuhren wir in unsere Protzenstellung. Dort haben wir gewartet, bis unserer zweiter Meßtruppwagen nachkam. Wie uns da erzählt wurde, hat unsere Stellung, nachdem ich abgefahren war, noch einige Artillerie-Treffer erhalten.

Verbrauchsstarke Abwehrmusik

Mittwoch, 15. September 1943

Durch großen Munitionseinsatz bei den Fliegerangriffen hatte sich unser Munitionsbestand stark verringert. Wir hatten noch etwa 15 Schuß, da kam wieder ein Verband Kampfflieger angeflogen. Das Feuer wurde eröffnet. Die erste Gruppe pfiff dem Feinde entgegen, die 2. ebenfalls, bei der 3. schoßen nur noch zwei Geschütze und schließlich schoß nur noch eines. Dann war es aus!

Reineking geriet aus dem Häuschen. Er rief die Abteilung an, er rief die Funker an, bei jedem stellte er den dringenden Hilferuf nach Munition. Und währenddessen flog der feindliche Verband schön unbehelligt vorbei. Reineking schimpfte, aber das half auch nichts, denn wir mußten tatenlos zusehen, wie die [Petljakow] PE 2 daherflogen. Aber ein LKW von uns war schon unterwegs ins Munition-Lager.

Nach einiger Zeit kam der Wagen bis oben hin beladen mit Munition. Was verfügbar war mußte mit diese Geschosse zu den Geschützen schleppen. Da kam schon wieder eine Anzahl Tiefflieger hereingeflogen. In unseren Raum. Reineking schrieh aus Leibeskräften, der Muni-Wagen soll aus der Stellung fahren. Diesmal war Reineking beruhigt, daß er wieder schießen konnte. Mir kam es vor, als wären wir wie ein starkes Tier, das sich vorher nicht wehrend konnte, aber jetzt mit geballter Kraft und angesammeltem Vorrat auf den Gegner stürzt. Unsere 8,8 Kanonen schossen aber auch mit tadelloser Feuerdisziplin. Nur der uns zugeteilte leichte Zug schoß an diesem Tage sehr schlecht, worüber sich unsere 2 cm Leute sehr ärgerten, was sie auch laut und deutlich zum Ausdruck brachten.

Ich habe mir manchmal gewünscht, unsere Angehörigen in der Heimat sollten einmal bei uns sein, oder sollten einmal hören, wie es bei einem Angriff hergeht. Zuerst der gellende Alarmruf, dann das Einarbeiten und Einspielen am Gerät, ein Motor surrt leise, Bedienungsleute rufen Zahlen aus, einige Zwischenkorrekturen des Schießenden, dann das langsam und deutlich gesprochene Feuerkommando und kurz darauf die ersten Abschüsse. Man hört das an- und abschwellenden Dröhnen der Flugzeuge, die heftige Abwehrbewegungen machen. Man vernimmt das Pfeifen und das dumpfe Donnern explodierender Bomben. Plötzlich fängt auch noch die leichte Flak zu bellen an und vervollständigt noch mit ihren Abschüssen und Sprengpunkten die Abwehrmusik einer schweren Flakbatterie.

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