Archiv für August, 1943

Gefährlich nahe Front

Sonntag, 29. August 1943

Einige Kilometer vor Jelnja mußten wir halten und warteten auf unseren Chef, der von einer Einsatzbesprechung zurückkam. Er gab den Dienstgraden die Lage bekannt und gab Befehle. Die Situation war etwa Folgende: Wir sollten wieder in die Gegend, wo wir schon einmal waren, jedoch sollten wir rechts der Bahn bleiben und sollten 2 km hinter der Front zum Luftbeschuß in Stellung ge[hen]. Die Stellung, die wir vor einigen Tagen hier verlassen hatten, war schon vom Russen besetzt. Wie gut, daß wir diese Stellung verlassen hatten.

Nun war es uns klar, was uns bevorstand. Die Protzenfahrzeuge wurden zurückgeschickt. Wir machten uns fertig. Koppel mit Patronentaschen umgeschnallt, Tragegerüst dazu und der Stahlhelm bereit gelegt. Uns allen war […] klar, was es für ein Risiko ist, eine schwere Flakbatterie so dicht hinter die Front zu legen. Dorthin konnte ja jeder Gewehrschuß gelangen. Auch ist das umfangreiche und wertvolle Gerät nicht dazu da, in einer so gefährlichen Stellung aufzubauen. Viele von uns waren schon in solchen Stellungen gelegen. Für mich war es etwas Neues. Ich war selbst gespannt, wie ich diese Angelegenheit aufnahm. Ob mich Angst oder Furcht packt, oder ob mich das Neue, Ungeschehene und Unerlebte mit nach vorn trieb. Eine innere Unruhe befiel mich schon, war es doch für mich sozusagen eine Fahrt ins Ungewiße. Aber die Nähe und Anwesenheit meiner Kameraden ließ mich zusammenreißen. Deren Ruhe und Gleichgültigkeit stimmten mich anders. Wo der B I-Wagen hinfährt, da fahren wir eben alle mit hin.

Und so fuhren wir los. Die Geschütze, wir, ein Muni-Wagen und ein Tankwagen. Zuerst ging es durch Jelnja. Dort bot sich uns noch ein richtiges, hinterlandmäßiges Bild. Ich möchte nur ein Beispiel nennen, weil ich später noch einmal darauf zu komme. In Jelnja gab es ein Soldatenheim. Dort war noch der schönste Verkehr und die Rote-Kreuz-Schwestern schauten noch fröhlich winkend aus dem Fenster. In südöstlicher Richtung verließen wir die Stadt.

Weil die Straße zu schlecht und ausgefahren war, fuhren wir neben der Straße auf Felder und Wiesen, wo bald ein glatter Fahrweg ausgefahren war. Es traten öfters Stockungen auf, weil uns sehr viele Fahrzeuge, ja ganze Kolonnen entgegenkamen. Das kam uns langsam spanisch vor. Artillerie und andere Fahrzeuge fuhren zurück und nur wir als Flak fuhren vor. Verschiedenes hörten wir auch schon munkeln von: die Russen greifen an, von Durchbruch, unsere ziehen sich zurück usw. Jetzt wurde uns klar, daß unsere Luftschutzstellung 2 km hinter der Front etwas aussichtsloses wird. Obwohl unsere Führung genau orientiert war, beharrte sie jedoch bei dem Unternehmen.

Die Truppen, die uns begegneten sahen uns alle freudigen Gesichts an. Ich weiß aber nun nicht, ob sie sich gefreut haben weil wir auch mal nach vorn in die Scheiße mußten, oder freuten sie sich daß nun endlich die gefürchteten 8,8 Kanonen nach vorn fuhren, oder haben sie uns ausgelacht, weil wir dem Russen direkt in die Hände fuhren.

Wir verließen die Straße und fuhren nach rechts hinein ins Gelände. Ging es mal über eine freie Fläche, so hieß es schon „klein machen“, Feindeinsicht, und es ging in rasender Fahrt über diese Stellen. Nur die verdammten Staubwolken, die die Fahrzeuge hinter sich herzogen, verwünschten wir, weil sie weithin zu sehen waren. Ab und zu sahen wir auch mal einen Granateinschlag. Auch auf diesem kleinen Fahrweg kamen uns immer noch Kolonnen entgegen. Unsere Batterie hielt wieder.

Tierische Angelegenheiten

Samstag, 28. August 1943

In Jarzewo waren wir aber nicht lange. Sonntag, der 28. August war wieder Flakreisetag. Wir packten wieder und nahmen Aufstellung. Große Aufregung entstand, als der kleine Hund, der sich immer beim Chef und seinem Fahrer herumtrieb, nicht zu finden war. Dadurch wurde sogar die Abfahrt hinaus gezögert. Als sich dieser Köter endlich gefunden hatte, fuhren wir los und in schneller, ununterbrochener Fahrt ging es nach Smolensk, durch das wir in der Dunkelheit hindurchfuhren. Wieder ging es auf die Roslawler Straße, dann nach Potschinok, wo gehalten wurde. Im Morgengrauen ging es wieder auf der Straße nach Jelnja vorwärts, die wir erst vor einigen Tagen in entgegengesetzter Richtung passiert hatten. In dem schönen Wetter war die Fahrt herrlich. Während einer kurzen Rast war ich Zeuge, wie im Rahmen einer Wette ein Kraftfahrer einer lebendigen Maus den Kopf abbiß. Er spuckte dann den Kopf aus und sagte, es hätte süßlich geschmeckt.

Heute hier, morgen dort

Donnerstag, 26. August 1943

Mitten während des Packens unseres Geräts kam ein Boxer mit der so lang ausgebliebenen Post. Das war aber ein Berg von Paketen, Briefen und Zeitungen. Als wir dann alles aufgeladen hatten und selbst aufgestiegen waren, fanden wir erst Zeit die Pakete zu öffnen. Und dann wurde von allem gekostet und jeder bekam etwas ab.

Wir machten dann schleunigst, daß wir aus dieser Stellung wegkamen, denn wir sahen, wie eine andere Flakbatterie im Feuer feindlicher Artillerie lag. Unser Weg führte wieder über die zerwühlte und aufgerissene Straße hinein nach Jelnja, wo wir bei Beginn der Nacht eintrafen. Wir fuhren weiter. Bald befahl aber unser Chef für diese Nacht endgültigen Halt, weil russische Bomber diese Gegend angriffen und ihre Bomben wahllos in die Gegend streuten. Es sprang alles in den Straßengraben und dort wurde der Befehl zum Weiterfahren abgewartet.

Als die Luft wieder rein war, ging es weiter. Die Straße war hoch mit Sand bedeckt. Die Fahrzeugräder mahlten im Sande und mancher Anhänger, z.B. das Kdo-Hi Gerät [„Kommandohilfsgerät“], schwebte in größter Gefahr, daß der teure Kasten umkippte. Aber es ging alles gut und am Morgen erreichten wir ohne Ausfall Potschinok. Dann ging es auf der schön asphaltierten Straße nach Smolensk. Kurz davor machten wir noch auf einem Staat[s]gut Rast. Durch Smolensk fuhr die Batterie geschlossen und es erregte nicht wenig aufsehen, als die schweren Zugmaschinen mit ihren klirrenden Kettengeräuschen und mit fröhlichen, singenden Soldaten darauf, durch die belebten Straßen braußten.

Ich will es gleich sagen, es ging wieder nach Jarzewo. Knapp neben unserer Stellung protzen wir ab und machten die Batterie feuerbereit. Wir wußten nur nicht, warum wir gerade nach Jarzewo kamen. Die Front war 15 km entfernt und war zur Zeit ruhig. Es wird so gewesen sein, wenn man mit einer Einheit nicht wußte wohin, steckte man sie nach Jarzewo. Zu schießen gab es dort nicht viel.

Eines Nachts, während der Wache, lernte ich die Gewitter in den unendlichen russischen Landen kennen. Zuckende Blitze und grelle Feuerscheine erhellten die pechschwarze Nacht zum Tage. Fürchterlich dröhnende Donnerschläge hallten durch die Nacht. Dazu ein gewaltiger Platschregen, der die lehmige Erde augenblicklich in einen zähen Schlamm verwandelte. Ich war froh, als ich ins Zelt zurückkehren konnte. Im Zelt war es trocken, die Zeltplanen hielten dicht.

Der Leise Willy

Freitag, 20. August 1943

Die Gefechtstätigkeit war eigentlich gering. Schon am nächsten Morgen überflog uns eine [Iljuschin] IL 2 in etwa 20 m Höhe. Unsere 2 cm konnten zwar Treffer anbringen, die aber infolge des spitzen Auftreffwinkels abprallten. Sonst kamen tagsüber nur ab und zu einmal Jäger in unseren Schußbereich. Nachts aber lernten wir hier den „leisen Willy“ richtig kennen. In einer mondhellen Nacht flogen diese Doppeldecker ein und wieder zurück. Sehr viele wurden jedoch von den leuchtenden Fangarmen der leichten Scheinwerfer erfaßt und damit einem konzentrischen Flakfeuer ausgesetzt.

Wir faßten auch viele Maschinen im Dunkeln auf. Die russischen Piloten versuchten mit ihren Kisten die tollsten Abwehrmanöver. Einer ging z.B. im Sturzflug kerzengerade herunter. Wir dachten „Abschuß“, aber kurz darauf flog er über uns hinweg. Ein anderer wurde von uns beschossen bis 50 m über dem Boden: Dann mußten wir das Schießen einstellen, weil wir sonst mehr Schaden auf der Erde wie in der Luft angerichtet hätten. Eine [Polikarpow] U-2 flog uns an. Plötzlich rauschte es in der Luft, dann knapp neben unserem B I-Stand ein Puffen und eine große schmale Erdfontäne stieg hoch. Der wollte doch wahrhaftig unseren B I Stand treffen. Er hatte wahrscheinlich unsere elektrische Beleuchtung gesehen. Kurz und gut, in dieser Nacht wurden auch einige „leise Willy’s“ abgeschossen und am nächsten Tage brachte Oblt. Reinecking ein Stück graues Sperrholz, das von einem abgeschossenen Flieger stammte mit heim. Auch die deutsche Luftwaffe sahen wir hier sehr aktiv. So konnte ich beobachten, wie ein Verband [Heinkel] He 111 eine Bombenreihe legte, die es in sich hatte, wie wir an den hochsteigenden Erd- und Qualmsäulen feststellen konnten.

Eine Neuigkeit für die jungen wie für die alten Soldaten waren unsere Nebelwerfer. Deutlich sahen wir die schräg aufsteigenden Rauchfahnen dieser fürchterlichen Geschosse und kurz darauf die gewaltige Detonation des Einschlages, die wir sogar vernehmen konnten. Eines Tages da pfiff es in der Luft und kurz darauf ein blechener Knall. Aha, der Russe schoß in unsere Nähe. Ich gewöhnte mich recht bald an diese neuen Geräusche und lernte bald Abschuß und Einschlag zu unterscheiden. Aber auch in dieser Stellung waren die Tage gezählt. Der Befehl zum Stellungswechsel wurde gegeben, wurde wieder aufgehoben um dann endgültig gegeben zu werden.

Ersehnte Kartoffeln

Sonntag, 15. August 1943

Am Sonntag, 14.8. (Flakreisetag) packten wir wieder zusammen. Vormittags war das Wetter schön. Es ging nach Jnotchkino zurück und dann rechts ab auf die Straße nach Jelnja. Da fing es an zu regnen. Im Nu waren die staubigen Straßen mit zähem Schlamm überzogen, sodaß die Fahrer höllisch aufpassen mußten, um nicht abzurutschen oder steckenzubleiben. Auf dieser Fahrt nach Jelnja lernte ich nun einmal Rußland kennen. Die Straßen waren eine einzige Schlamm- und Pfützenfläche, die Häuser ärmlich gebaut und mit allem Möglichen geflickt und ausgebessert, die Bevölkerung liederlich gekleidet. Die Felder waren ungepflegt, bis man schließlich nur noch eine Grassteppe sah. Die Stadt Jelnja selbst war fast ausgestorben. Wir fuhren dann auf der Straße nach Spass-Demensk etwa noch 15 km und gingen dann etwas abseits nahe dem Dorfe Medweshja mitten in einem Buschgelände in Stellung.

Da die Front von hier nur 12 km entfernt war, mußte alles getarnt werden. Die Geschützrohre waren so mit Zweigen umwickelt, daß man sie für einen Baum halten konnte. Das Bauen der Zelte war kein Genuß, denn in dem vom Regen naßen Grase schien es kein gutes Lager zu geben. Aber nachdem genug Stroh herangeschafft worden war, konnten wir unsere Zelte ganz gut einrichten.

Unser erstes Mittagessen in dieser Stellung brachte endlich wieder Salzkartoffeln und Goulasch. Schon während der letzten Zeit in Sechtschinskaja waren unsere Kartoffeln zu Ende gegangen und so gab es ungefähr 14 Tage lang nur Nudeln, Makkaroni, Reis und Graupen in allen möglichen Zubereitungen. Jetzt hatte man wieder Kartoffeln auftreiben können und da gab es auch gleich wieder ein Kochgeschirr voll. In diesen Tagen hat auch unser junger, kochgewandter Werner Lotz aus 8 l Milch einen Pudding für uns zurecht gemacht, der sich wirklich sehen lassen konnte. Unser Meßtruppführer war in dieser Zeit Uffz. Bodenschatz. Ufw. Theißen war auf Urlaub. Mit Bodenschatz kam ich vorerst nicht so gut aus. Sei es weil er uns junge Gefreite gern etwas hintenanstellte oder sei es wegen seines Wesens und Verhalten was mir gar nicht gefiel und nie zugesagt hat.

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