Sonntag, 29. August 1943
An einer Staatsdomäne hielten wir wieder an, um uns etwas Orientierung zu verschaffen. Wir waren abgestiegen und amüsierten uns gegenseitig über unser Aussehen. Die Röcke und Hosen waren Millimeterdick mit Staub bedeckt. Aus dem schwarzgrauen Gesicht leuchteten die Zähne und das Weiße in den Augen. Und der Schweiß hinterließ lange Bahnen abfließender Schweißtropfen auf den Backen.
Da plötzlich kam ein einzelner PKw., und wer saß drin? Unser Kommandeur, Major Wendt. Wir staunten alle zusammen, hier ihn vorzufinden. Es herrschte doch die Annahme, daß er mit vorn wäre, bei seinen Gefechtsbatterien. Als ihn Bodenscha[tz] nach dem Orte unserer Protze gefragt hatte und Wendt wieder abgefahren war, diskutierten wir über ihn. Später stellte es sich dann heraus, daß er der Lage nicht gewachsen war, die Nerven verloren hatte und sich mit seinem Fahrer aus dem Staube gemacht hatte.
Wir fuhren anschließend auf der Straße Jelnja-Potschinok und suchten den Ort unserer Protze, Iwanowo. Ich wußte, daß dieser Ort ziemlich nahe bei Jelnja lag, sagte aber nichts, weil wir doch dann sofort dorthin und damit wieder ziemlich nahe an die Front kamen. In der Annahme, daß dieses Nest weiter hinten läge, fuhren wir auf dieser Straße zurück. Da erlebten wir auch den ersten Tieffliegerangriff in diesem Gebiete. Diese Flieger hatten aber andere Ziele und wendeten wieder, bevor sie herankamen. Nun, als wir ein Stück zurückgefahren waren und Iwanowo immer noch nicht kam, kam unser Meßtruppführer Bodenschatz zu der Überzeugung, daß wir hätten nach der entgegengesetzten Richtung fahren sollen. Also kehrten wir um und fuhren wieder nach vorn. Eine ganze Weile sind wir gefahren. Immer näher hörten wir den Lärm der zurückgehenden Front. Aber Iwanowo kam nicht. Weiter nach vorn zu fahren wollten wir nicht, da wir nicht wüßten, wie die Lage war. Auch glaubten wir nicht, daß unsere Protzenstellung so dicht hinter den Linien liegt. Da der Tag langsam zur Neige ging, entschlossen wir uns wieder zurückzufahren und in einem Dorfe zu nächtigen.
Auf dieser Fahrt stießen wir auf Protzenfahrzeuge und den Funkwagen unserer 5. Batterie. Bodenschatz nahm hier die Gelegenheit wahr, um durch Funk bei unserer Funkstelle ihren Standort zu erfragen. Nach einigen Minuten kam die Antwort, sie lautete prompt: Iwanowo. Das haben wir schon gewußt. Aber wo das Dorf lag, war uns jetzt auch noch ein Geheimnis. Also fuhren wir weiter, einen Übernachtungsplatz zu suchen. In der Reihe der entgegenkommenden Autos tauchte plötzlich unser Tankwagen, mit dem Tankanhänger für Trinkwasser, auf. Der suchte auch unseren Troß. Wir klärten ihn auf und er schloß sich uns an und wir wollten unsere Leute gemeinsam suchen.
Auf einmal kam in die vor uns fahrenden Fahrzeuge plötzlich Aufregung und Verwirrung. Die Fahrzeuge stopten plötzlich und die Insassen sprangen heraus und rannten wahllos in das Gelände. Wir hielten auch, sahen nach dem Grunde dieses Verhaltens und bemerkten in der Luft zwei Verbände [Petljakow] PE2, die schräg auf uns zukamen. Nun aber runter gesprungen und Deckung gesucht. Zufällig waren gerade neben uns Russenweiber dabei, einen Schützengraben auszuheben. In diesen Graben verschwanden wir und warteten nun ab, ob die Straße mit ihrem regem Verkehr das Ziel dieses Angriffs wurde. Aber der erste Verband drehte nach links ab und auch die Maschinen lagen darauf im Sonnenlichte blinkend in der Kurve. Etliche Minuten später zeigten uns in einigen km Entfernung hochgehende Rauchfontänen und kurz darauf folgender Donner das Gebiet an, wo die beiden Verbände ihre Bomben ausgelöst hatten.
Frohen Mutes stiegen wir wieder auf und fuhren weiter, dabei auf jedes Einheitsschild achtend, ob nicht das von unserer Batterie dabei war. Im nächsten Dorfe war bald ein geeigneter Rasenplatz gefunden. Bauten uns unser Zelt auf und legten uns hin, um uns von diesem erlebnisreichen, aber auch aufregenden Tag, dem 29. August, auszuruhen. Davor hatte ich noch das Schild mit dem gelben Wolfskopf, das Zeichen unserer Batterie, an einem Pfahl an der Straße befestigt.